19.09. – Der erhoffte Anfang eines mühsamen Weges?

SK Sturm Graz – Austria Wien 2:0
Samstag, 19. September 2015, 16:00 Uhr
Stadion Liebenau, 8.365 Zuseher (ca. 500 Gästefans)
Bundesliga 2015/16, 9. Runde

19.09. – Dieses Datum… Von 365, mitunter auch 366, Tagen im Jahr, gibt es keinen, welcher symbolträchtigere Konnotationen mit dem Verein unseres Herzens weckt, als diesen. Leider nur findet ein Spiel von Sturm Graz – gegründet 1909 – nicht allzu oft am September dem Neunzehnten, statt. Deswegen zur Einführung nun ein klein wenig Geschichtsunterricht der besonderen Art:

„Lernen’s Geschichte!“

Denn im Jahre 2004 war dies zum letzten Mal der Fall. Justament zu Hause gegen jenen Verein, dessen großes Idol – für eine Aussage legendär – vor kurzem 60 Jahre alt wurde. Eben jene Mannschaft, gegen die – Achtung Spoileralarm – am vergangenen Samstag mit 2:0 gewonnen wurde. Zweifacher Torschütze für Austria Wien war ein gewisser Ivica Vastic. 1998 wiederum spielte man auswärts gegen jenes Team, das sich damals unter Protest seiner wackeren Fans mit FC Tirol Innsbruck titulierte. Und auch damals traf eine Legende, diesmal jedoch für Schwarz-Weiß: Unter Jahrhunderttrainer Ivan Osim und mit dem heutigen Coach am Spielfeld gewann Sturm Graz durch ein Goal von Mario Haas auswärts mit 1:0. Der Rest ist Geschichte. Späterhin stemmte man nämlich gegen dasselbe Team den zweiten Meistertitel der Vereinshistorie in die Höhe!

Die gerademal zwei weiteren Begegnungen an diesem historischen Datum fanden 1987 gegen Admira Wacker – man gewann zuhause mit 3:1 – und 1980 auswärts gegen den Wiener Sportclub statt – dort verlor man mit 1:2. Nachbemerkung zur Partie gegen die Admira: 1984 verhält sich zu 2004 wie 1998 zu 2015. Denn auch hier stand mit Mischa Petrovic der Trainer der übernächsten 1909-Partie am Spielfeld. Zusätzlich wurde ein gewisser Gerhard Goldbrich in Hälfte 2 eingewechselt. In 42 Jahren Bundesliga-Geschichte fanden am 19.09. also gerade mal 5 Spiele statt – inklusive vergangenem Samstag. Und gar nur drei davon vor heimischem Publikum. 2029 wird es statistisch gesehen also die nächste Möglichkeit geben, eine passende Choreographie in die eigene Kurve zu zaubern. Dementsprechend sehnte man diese Möglichkeit im heurigen Jahr schon seit Längerem herbei. Einzig die Rahmenbedingungen verunmöglichten unseren eigentlichen Plan für diesen historischen Tag.

Wir wollen Sturm sehen!

An dieser Stelle bietet es sich an, jene Statistiken unserer Stellungnahme vom vergangenen Donnerstag nochmals hervorzukramen:

– 8 Heimspiele in Folge war man ohne Heimsieg. Seit Mai 2015 kam man unter Franco Foda auf läppische 1,06 Punkte im Schnitt. Zusatzinformation: Seit der Einführung der Dreipunkte-Regel in der Saison 1995/1996 hätte man hiermit bestenfalls Rang 7 erreicht. Zweimal wäre man gar abgestiegen.
– Die Bilanz unseres Generalmanagers seit Amtsantritt hingegen beträgt immerhin 1,29 Punkte im Schnitt. Beginnend mit März 2013 setzte es hierbei in 94 Spielen 36 Niederlagen bei nur 32 Siegen. Biederes Mittelmaß.

Diese Statistiken illustrieren in äußerst verkürzter Form jenen Frust, welcher sich beim Gros der Sturmfans in den letzten Monaten und Jahren angesammelt hat. Ein Blick auf die Zuschauerzahl von Samstag untermauert eben diesen: 8.365 Besucher an einem lauen Samstag Nachmittag. In einem der letzten verbliebenen Schlagerspiele dieser Liga. Traurig und bezeichnend. Zeit für Veränderungen. Und so kam es vor wenigen Tagen zu jener Aussendung, die als Hauptpunkte „die Einführung professioneller Strukturen, die Einbindung der eigenen Nachwuchsspieler und ein modernes Spielsystem“ zum Inhalt hatte und damit einhergehend eine neue Initiative der organisierten Fans der Nordkurve ins Leben rief: WIR WOLLEN STURM SEHEN! An eine Choreographie war dementsprechend keineswegs zu denken. Stattdessen entschied man sich zu einem – dem Datum entsprechenden – Stimmungsboykott, der 19:09 Minuten andauern sollte. All jene unter euch, die die Aussendung des Kollektivs 1909, bestehend aus BG, GSF, JS und GC, noch nicht gelesen haben, bitte ich an dieser Stelle, dies nachzuholen und sie genau zu lesen. Denn komplexe Themen – so auch unsere sachliche Kritik – werden in der medialen Rezeption generell oftmals verkürzt und verzerrt dargestellt. Es lohnt sich somit nochmals klarzustellen, dass sich unsere Kritikpunkte keineswegs nur an die Mannschaft richten und an den schlechten Ergebnissen orientieren, sondern insbesondere auch den Vorstand in die Pflicht nehmen, sich unserer oben angeführten Hauptkritikpunkte doch bitte anzunehmen.

Stille

Um unsere Kritik auch im Stadion nicht verstummen zu lassen, wurden vor Spielbeginn und in den ersten 19:09 Minuten insgesamt 9 Spruchbänder präsentiert, die verschiedene von uns bereits angesprochene Thematiken in den Vordergrund rückten. Diese reichten von „Mit ‚Sturm Neu‘ verhält es sich 1:1 zum modernen Spielsystem am Rasen – seit Jahren gibt’s nur hohle Phrasen“, über „@Jungkicker: Bei Sturm gibt’s für euch leider keine Ziele, die Amateure sind das höchste der Gefühle…“, bis hin zum etwas derberen „Das ganze Land hat’s längst kapiert, unser Spielsystem ist antiquiert, wann wird man auch in Messendorf verstehen, wir wollen den Dreckskick nicht mehr sehen!“. Zusätzlich fand man auch abseits der Kurve wahre Worte: „@F.F.: ‚Sturm ist wichtiger als jeder Spieler‘ – Ivan Osim“ stand selbst dort geschrieben. Einen Überblick über alle – insgesamt – 10 Spruchbänder findet ihr am Ende dieses Berichtes und natürlich auch auf sturmtifo.com.

Zusätzlich gab es für die gesamte Dauer des Spieles keine Fanclub-Transparente in der Kurve zu bewundern. Stattdessen hing ein zur neuen Initiative passendes „Wir wollen Sturm sehen“ über die 80 Meter Länge der Nord. Und damit nicht genug. Wer sich noch an die letzte erfolgreiche Kampagne der organisierten Szene erinnert, kannte es in anderer Form bereits. Angelehnt an ein berühmtes Zitat des wohl noch berühmteren römischen Feldherrns Cato stand auf einem weiteren Spruchband mit eigenwilliger, doch im Gedächtnis bleibender Erscheinung, geschrieben: „IM VEBRIGEN SIND WIR DER MEINUNG, DASS STVRM GRAZ FVER PROFESSIONELLE STRVKTVREN, KARRIEREPLATTFORM VND MODERNEN FVSSBALL STEHEN MVSS!“ Und wie bereits bei „Freiheit für Sturm“ wird auch dieses Transparent den Weg zu jedem weiteren Spiel finden. Bei jedem Match wird es zu sehen sein. Und wie bereits bei „Freiheit für Sturm“ wird das so lange der Fall sein, bis der SK Sturm Graz für all dies tatsächlich wieder stehen wird. Bis dahin wird unsere Kritik nicht verstummen!

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19:09

Doch auch abseits von Kritik, Stellungnahmen und Boykott tat sich einiges. Immerhin kam mit Austria Wien ein Team nach Graz, das mit einem Sieg in Liebenau vorübergehend die Tabellenspitze übernehmen konnte. Und da es für die Violas nun gar nicht allzu schlecht lief, erwartete man auch im Auswärtssektor einen regen Zulauf an Fans der Favoritner. Wohl um die 500 waren es dann schlussendlich – weniger als gedacht. Und diese waren etwas überraschend selbst in den ersten 19:09 Minuten eher mäßig zu vernehmen, so konnten sie unseren Stimmungsboykott wider Erwarten also kaum zu ihrem Vorteil nutzen. Auch deren etwas verquere Choreographie in der ersten Halbzeit – eine Anspielung auf die Kreuzzüge – änderte daran nichts.

Bildquelle: www.austria80.at

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Am Spielfeld derweil schien man sich anfangs der Stille auf der Tribüne anzupassen. Wenig gelang. Die Austria mit mehr Ballbesitz. Sturm mit besseren Chancen. Doch weder in den ersten 19:09 Minuten, noch im Rest von Halbzeit 1 gab es einen Treffer zu bewundern. So torkelte man einem Unentschieden entgegen und schien vorerst auch mit Neuzugang Tanju Kayhan und Youngster Andreas Gruber nicht in besseres Fahrwasser zu gelangen. Vorerst jedenfalls. Doch noch einmal zu Minute 19:09…

Langsam klettern die letzten Sekunden auf der Anzeigetafel empor… 18:59, 19:00, 19:01… Unmengen von Händen recken sich in die Höhe…19:03, …:04, …:05. Irgendwie will ich, doch irgendwie will ich auch nicht. Und vielen geht es wohl ähnlich… Unentschlossen fixieren meine Augen die Videowall. …:06, …:07, …:08. Trommelwirbel… Endlich! 19:09. WIR WOLLEN STURM SEHEN! Brachial entzündet sich der Support auf der Nord. Aus knapp 3000 Kehlen schreien wir den Kickern entgegen. Wir wollen Sturm sehen! Wir wollen Sturm sehen! Und nochmal: W i r _ w o l l e n _ S t u r m _ s e h e n! Etwas mehr als 70 Minuten wird es Stimmung geben. Es heißt unseren Verein zu unterstützen. Denn wie hieß es weiter oben schon so schön? Sturm Graz ist mehr als jeder Spieler – und jeder Funktionär. Nicht wegen denen sind wir hier. Wegen Sturm Graz sind wir hier.

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„Do san a poar violette Hurenkinder dabei!“

Das war also Halbzeit 1. Es folgt: Halbzeit 2. Und das Augenmerk gilt es dabei vorläufig erneut auf die Tribünen zu richten. Denn die Fanszene der Austria – unter ihnen finden sich zum Beispiel die etwas kopflastigen Fanatics – hatten eine weitere Choreographie für uns geplant. Nicht unerwartet rieb man sich einmal mehr an der wohl recht verhassten Fanszene von Sturm Graz. „Gruppo Anti Graz“ stand dort demnach ganz groß zu lesen. Fähnchen fanden sich im Hintergrund. War schön anzusehen. Muss man ihnen lassen. Etwas unerwartet für die bereits erwähnten Fanatics im Speziellen und für deren organisierte Fanszene im Generellen kam unverzüglich eine Antwort der Nordkurve, mit der offensichtlich im Auswärtssektor nicht gerechnet wurde…

Bildquelle: www.austria80.at

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Er wurde in diesem Bericht bereits bemüht – und es sei ihm auch an dieser Stelle nachträglich ganz herzlich zum sechzigsten Geburtstag gratuliert! – : Herbert Prohaska, wohl eine der größten Austria-Legenden überhaupt. Und ja, was soll man dazu sagen, er ist nun mal für eine Aussage [ganz besonders] legendär: „Do san a poar [violette] Hurenkinder dabei!“ Die Richtigkeit seiner Aussage sei dahingestellt, offensichtlich scheint dann aber doch, dass eben dieses – mit verkehrtem Fanatics-Kopf in der Nordkurve präsentierte – Transparent einen Nerv beim Gegenüber traf. Der passende Konter zur „Gruppo Anti Graz“-Choreo der Veilchen schien gesessen zu haben. Wild gestikulierend endete der Support in Sektor 27. Wenig später waren auch alle Fetzn abgenommen. Man war, so scheint’s, etwas erzürnt und hatte sich im Eifer des Gefechts keineswegs mehr unter Kontrolle. Nun gut, auf 19:09 Stille unsererseits folgte nun also 40 Minuten Stille und totales Chaos ihrerseits.

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Von der Tribüne zurück aufs Feld…

Direkt neben den aus allen Wolken gefallenen Austrianern, bot sich den 8.365 Zusehern ein weiteres bizarres Schauspiel dar. M&Ms wohin das Auge reicht. M&Ms als dominanter Faktor auf der Süd in Liebenau. In Gelb. In Rot. Als überdimensionierte Werbefiguren. Ebenso dominierten M&Ms den Stadionvorplatz an diesem lauen Samstag Nachmittag. Die schiere Menge an Gratis-Süßigkeiten und -Figuren lässt sich in folgender Weise am besten illustrieren: Seit 1999 besuche ich in aller Regelmäßigkeit Spiele des SK Sturm. M&Ms waren am Samstag jedoch die ersten, die es schafften Puntigamer in den Hintergrund zu drängen. Absurd, grotesk und bizarr. Vor lauter Schokolade fällt es beinah schwer den Blick von der M&Ms-getränkten Tribüne zurück aufs Feld zu richten. Doch genau das wird nun geschehen.

Copyright www.austria80.at

Bildquelle: www.austria80.at

Rund 15 Minuten nach vorhin beschriebener Aktion gab es dann tatsächlich einen Grund zum Feiern. Andreas Gruber schenkte Teamtorhüter Robert Almer das erste Tor des Abends ein. In Minute 66 traf der Nachwuchsspieler zum 1:0 für Sturm. Seine darauffolgende Geste erzeugte unter vielen Zuschauern jedoch etwas Verwunderung. Der symbolische Mund zum Finger, jenes vielsagende Zeichen Richtung Kurve. Man könnte ihm Kritikresistenz attestieren. Dies erscheint dann aber doch leicht paradox, forderte das Kollektiv 1909 in seiner Aussendung ja gar den Einbau von Nachwuchsspielern. Gruber wäre demnach ein potentieller Profiteur der Umsetzung jener Hauptpunkte von „Wir wollen Sturm sehen“. Fazit: Emotionen im Eifer des Gefechts sollte man demnach keineswegs überbewerten. Belassen wir es dabei und begeben uns zum zweiten Treffer des Abends.

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Richtig. Sturm gelang das entscheidende und finale 2:0. Und Torschütze war ein gewisser Sasha Horvarth, bis vergangenen Mai Spieler von Austria Wien. Das konnte für die Stimmung im Auswärtssektor kaum von Vorteil sein… In der Nordkurve hingegen jubelte man ob des schlussendlichen Sieges durchaus. Auch trotz vorhergehenden Stimmungsboykotts. Und man jubelte zu Recht. Auch wenn ein plötzlicher Sieg nicht über alle Kritikpunkte und über die derzeitige Situation hinwegtäuschen kann und darf. Das sollte man an dieser Stelle nicht vergessen.

…und zurück zur Kritik

Die Spieler jedenfalls vergaßen es nicht und bevorzugten, sich trotz des Erfolges nicht zu verabschieden. Wie auch einem Andreas Gruber jene Geste nach seinem Treffer unbenommen sei, sei auch das Nicht-Verabschieden der gesamten Mannschaft unbenommen. Denn es illustriert soeben Geschriebenes recht plastisch. Darum nochmals: Ein Sieg kann und darf über die jetzige Situation nicht hinwegtäuschen. Es muss sich einiges ändern. Und darum wird unsere Kritik auch weiterhin zu hören sein. In Seekirchen, genauso wie in Mödling. In Grödig, genauso wie beim nächsten Heimspiel gegen Altach. Denn: WIR WOLLEN STURM SEHEN!

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– sherif-

Fotos: Klassische Version | Mobile Version

 

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