Ein starker Herbst des SK Sturm geht zu Ende. Nach zwei dürftigen Saisonen endlich wieder Fußball mit Leidenschaft. Es macht Spaß, der Mannschaft zuzusehen. Es tut gut, zu wissen, dass Sturm sich auf dem richtigen sportlichen Weg befindet. Und umso mehr tut es weh, die Burschen in dieser Phase nicht im Stadion unterstützen zu können. Alleine die Vorstellung, was wohl bei den Auswärtssiegen in Salzburg oder bei der Austria in den Blöcken los gewesen wäre, kann einen in den Wahnsinn treiben. Man sitzt zuhause auf der Couch, freut sich natürlich, aber trotzdem bleibt eine gewisse Leere zurück. Man wäre gerne hautnah am Geschehen dran, man würde sich die Freude gerne bis zur Heiserkeit rausschreien, die Euphorie bis in die letzte Faser des Körpers spüren, im Freudentaumel nachhause fahren, die Nacht zum Tag machen – aber all das ist derzeit nicht möglich, nicht in der gewohnten Form.
Auch abgesehen davon gibt es diese Momente, in denen die Sehnsucht ganz kurz fast unerträglich wird. In denen Erinnerungen an die Zeiten vor Corona plötzlich in den Schädel einfahren; in denen der Vibe der vollen Kurve fast Déjà-vu-artig auf einmal fühlbar wird; in denen man realisiert, dass man seit bald einem Jahr auf die Dinge verzichten muss, die davor eine Konstante dargestellt haben. Und in denen einem klar wird, was einem eigentlich immer schon bewusst war: Ins Stadion zu gehen, „zum Fußball zu fahren“ – das ist ein Erleben mit allen Sinnen, das sich über viele Jahre hinweg in Körper und Geist eingeschrieben hat.
Fußball ist Sehen: Die Kombination, bevor der Ball im Tor zappelt; die Fahnen, die einem von allen Seiten um die Ohren wirbeln; die Provokationen der gegnerischen Kurve oder eines ungeliebten Kickers, der gerade gegen Sturm genetzt hat. Die Freundinnen und Freunde, die man eine Woche nicht getroffen hat; die vielen bekannten Gesichter, die man am Vorplatz sieht und denen man sich verbunden fühlt, auch wenn man sich gar nicht persönlich kennt; die Pickerl und Tags an den Stadien des Landes; die ewig langen Schlangen vor den Bierständen. Rauch, der in den Augen brennt; Leute, die beim Torjubel völlig durchdrehen und durch die Gegend fliegen. Und immer wieder die Farben Schwarz und Weiß, um die sich alles dreht.
Fußball ist Hören: Das Dröhnen der Trommeln; das Rauschen der Megaphone. Eine motivierende Ansprache, nach der die Kurve wieder mit Vollgas loslegt. Die schiefen Gesänge vom Typen hinter dir, der schon ein paar Bier intus hat. Eine besonders laute Schimpftirade in einem ruhigen Moment, über die der halbe Sektor schmunzelt. Ein melodisches „Bier-Wurstsemmeln-Brezen“, das Abhilfe gegen den Durst verspricht. Die totgehörte CD, die auf einer Altach-Heimfahrt zum gefühlt zehnten Mal durchläuft. Die schlechte Tonanlage auf irgendeinem Dorfplatz, über die der Stadionsprecher vergeblich versucht, das Publikum zu animieren. Der Sturm-Klatscher nach einem Sieg; ein „Samma Schwoaz“, bei dem das ganze Stadion mitsingt.
Fußball ist Riechen: Der beißende Rauch des Bengalen, der die Kurve nach einem Tor erleuchtet; der Schweiß, der den Leuten in einem unüberdachten Block im Hochsommer aus jeder Pore tropft. Der muffige Geruch im Bus, nachdem man durchnässt die Heimfahrt angetreten hat; das T-Shirt, das im Stadion eine Bierdusche abbekommen hat. Der süßliche Duft eines Joints; die Alkfahne, die von einem intensiven Frühschoppen oder einer langen Busfahrt zeugt.
Fußball ist Schmecken: Das Würstel von mittelmäßiger Qualität, für das man sich 20 Minuten lang angestellt hat; die brennheiße Schnitzelsemmel, an der man sich fast die Zunge verbrennt; ein Mäci-Menü, das man nach einem anstrengenden Spieltag gierig reinschlingt. Das erste Bier, das man sich am Vormittag unter Mühen reinstellt; das dritte Bier, das dann schon wesentlich besser rinnt; schließlich das x-te Bier und der Jägermeister, den man eigentlich nicht wollte, aber den irgendwer gezahlt hat. Ein heißer Glühwein an einem Wintertag, der gleichzeitig auch noch die Finger wärmt.
Fußball ist Fühlen: Die Kälte, die einem entgegenschlägt, wenn man nachts den Auswärtsbus irgendwo auf einer Raste im Gebirge verlässt; die Hitze, die von einer aufgeheizten Stahlrohrkonstruktion auf die Tribüne zurückstrahlt; der nasse Arm des Nachbarn im Stadion, wenn er sich bei dir einhängt. Das Brennen auf den Handflächen, die vom Dauer-Fahnenschwenken schön langsam aufgescheuert werden; die blauen Flecken, die noch Tagelang an einen intensiven Torjubel erinnern. Der pickige Boden im Stadion, der einem fast die Schuhe auszieht; der Drang aufs Klo zu gehen, den man zu ignorieren versucht, weil man nichts vom Spiel verpassen will. Die steinerne Müdigkeit, wenn man nach einem Spieltag ins Bett fällt.
Das alles – und noch viel mehr – ist Fußball aus Sicht eines Fans. Es ist dieses Gesamtpaket, die Summe der vielen, noch so unbedeutend erscheinenden Kleinigkeiten, die das Erlebnis Sturm ausmachen und die Sehnsucht nach der Kurve und den Spieltagen, wie man sie gewohnt war, ab und an ins Grenzenlose steigen lassen. Die Ungewissheit, wann es wohl wieder so weit sein wird, ist zermürbend; die Ungeduld wächst, aber der Tag wird kommen. Bis dahin bleibt nur die Erinnerung daran, dass es einmal schöner war.