Es war einmal in Vöcklabruck

SV Austria Salzburg – SK Sturm Graz 0:5
Dienstag, 23. September 2014, 20:30 Uhr
Voralpenstadion Vöcklabruck, 4.400 Zuseher (ca. 900 Sturmfans)
ÖFB-Cup 2014/15, 2. Runde

„Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht verstehen“ – sinngemäß nach Goethe

Prolog

Wir schreiben Sonntag, den 03. August 2014, Mittagszeit.

Am Vorabend hatte der SK Sturm sein erstes Heimspiel hinter sich gebracht – 4:2 gegen den SC Wiener Neustadt –, nun zog allerdings die Auslosung zur zweiten Runde des ÖFB-Cups die Aufmerksamkeit der meisten Aficionados auf sich. Diesmal legte die Losfee in Form einer jungen Beachvolleyballerin im Rahmen des Grand-Slams in Klagenfurt Hand an – und verzichtete just auf den beinahe schon obligaten Fehlgriff. Vermutlich blieb wohl nicht nur mir in diesem Moment der Mund offen stehen. Konnte das wahr sein? Tatsächlich. AUSTRIA SALZBURG. Ein Los, das man sich schon so lange gewünscht hatte, an dem man schon so viele Male haarscharf vorbeigeschrammt war. Es war angerichtet.

Kapitel 1

Seitdem hatte sich natürlich so Einiges getan in unserem Verein, der September hatte begonnen, wie der August geendet hatte: Sturm präsentierte sich wie üblich als sportliche Wundertüte, die gelegentlich hübschen Fußball, dann aber wieder grusliges Gekicke zum Vorschein brachte. In der vergangenen Woche dann plötzlich der Knalleffekt: Darko Milanic würde Graz in Richtung England verlassen – Destination Leeds! Mit dem 1:0-Sieg bei der SV Ried verabschiedete er sich letzten Samstag von Verein, Mannschaft und Fans; die intensiv geführten Nachfolge-Diskussionen (Schöttel? Gregoritsch? Am besten gleich Adi Pinter…) verdrängten nahezu das kommende Saison-Highlight aus der medialen Öffentlichkeit: Den Cup-Schlager gegen die einzig wahren Salzburger.

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Neun Jahre waren mittlerweile vergangen, seitdem der Brause-Milliardär die Veilchen aus der Mozartstadt mit Haut und Haar verschlungen hatte – um sie im selben Moment als seelenloses Kommerzprodukt wieder auszukotzen, der Farben und der Tradition beraubt. Ebenso neun Jahre waren vergangen, seitdem sich die neugegründete Austria Salzburg aus der untersten Liga wieder nach oben zu kämpfen begann. Aktuell befindet sie sich an der Tabellenspitze der Regionalliga West, letzte Saison war der Aufstieg in die Erste Liga an der Relegation gegen den Floridsdorfer AC gescheitert – sportlich sollten also klare Verhältnisse zugunsten unserer eigenen Elf herrschen. Dennoch herrschen im Cup bekanntlich eigene Gesetze, weshalb man auch vor diesem Gegner gewarnt war. Mit der Motivation des Underdogs gegen einen vermeintlich stärkeren Gegner hatten es schon einige kleine Vereine vollbracht, die Großen zu Fall zu bringen – solche bösen Überraschungen sollten ausbleiben. Als Interimstrainer fungierte im Übrigen Sturmlegende Günther Neukirchner – was konnte da sportlich schon schief gehen?

Kopfzerbrechen schon im Vorfeld des Spieles bereitete hingegen die Stadionfrage: Nachdem das Heimstadion der Austria in Salzburg-Maxglan aus infrastrukturellen Gründen als Austragungsstätte nicht in Frage kam und diverse Sentimentalitäten ein Match in Grödig oder Wals-Siezenheim unmöglich machten, kam wohl nur noch das Voralpen-„Stadion“ in Vöcklabruck in Frage, in das die Salzburger schon in der ersten Cuprunde gegen blau-weiße Linzer ausgewichen waren: Eine Sportanlage – ästhetisch angesiedelt irgendwo zwischen Industrieruine und Schweinemastanlage –, die einem solchen Ansturm wohl kaum gewachsen sein dürfte. Vor allem der Gästesektor ließ Schlimmes befürchten: So sollten sich die Sturmfans mit einem flachen Stehplatzbereich ohne Stufen begnügen, eingezwängt zwischen Baustellenzäunen auf der einen und einer Mehrzweckhalle auf der anderen Seite. Nachdem die 900 Karten, die unserem Verein zur Verfügung gestellt wurden, innerhalb kürzester Zeit vergriffen waren, wurde schnell klar: Es dürfte eng werden in Vöcklabruck.

Für zusätzliche Aufregung sorgten zudem diverse Gerüchte, teils verstärkt durch die wenig seriöse Vorberichterstattung der Lokaljournaille. Angeblich hatte der rote Abschaum unserer Stadt geplant, ihren Länderspielfreunden und Gesinnungsgenossen aus Salzburg im Rahmen der Cupbegegnung ebenfalls einen Besuch abzustatten, auch aus dem Innviertel hätten sich Kameraden angekündigt – nichts davon traf aber tatsächlich ein, wie sich im Endeffekt herausstellen sollte.

Kapitel 2

Im Laufe einer Fan-Karriere erlebt man immer wieder Spiele, die der hohen Erwartungshaltung nicht gerecht werden können. Das Match gegen die Austria Salzburg gehört definitiv nicht dazu. Vielmehr war es einer dieser Tage – man entschuldige, wenn ich mich in Pathos verliere –, von dem man Wochen und Monate zehren wird, der noch Jahre immer und immer wieder in der Erinnerung ablaufen wird, von dem man noch kommenden Generationen erzählen kann.

Als eine Buskarawane an diesem Dienstagnachmittag Graz verließ, konnte man davon natürlich nichts erahnen. Dennoch lag da ein ganz besonderes Prickeln in der Luft, ein gewisses Knistern, das einem verriet, dass es wohl doch kein ganz alltägliches Match werden dürfte. Immerhin war nahezu ein Jahrzehnt vergangen, seitdem sich die Anhänger der Salzburger Austria das letzte Mal gegen einen fantechnisch ebenbürtigen Gegner präsentieren hatten dürfen – entsprechend hoch war auch ihre Motivation einzuschätzen. Zudem war auch unsererseits emotionale Ladung gegeben: Die älteren Semester hatten die alte Austria samt ihrem Anhang teils noch gut von früheren Begegnungen in Erinnerung, für die Jüngeren stellten sich die Salzburger Violas als komplett unbekannter Gegner dar. So wuchs mit jedem gefahrenen Kilometer die Anspannung, aber im gleichen Atemzug auch die Vorfreude auf ein Fußballfest der Superlative. So wurde bei der Anreise, die bei dem einen oder anderen Bier wie im Flug verging, bereits kräftig spekuliert und gemutmaßt.

Ein letzter Appell an die Fans erfolgte per Megaphon auf der Autobahnraststätte Voralpenkreuz, bevor man die letzten Kilometer auf dem Weg ins Ungewisse antrat.

Bei eingebrochener Dunkelheit in Vöcklabruck angekommen, wurde man durch den außerordentlich hohen Stresspegel der Staatsgewalt doch überrascht. Ob Absicht oder nicht – tatsächlich gelang es den Herrschaften der Exekutive, die Karawane aufzutrennen – und so wurden drei der Busse – darunter ein offizieller Fanbus des Vereins – im allgemeinen Chaos von einer Partie Salzburger willkommen geheißen. Die heillos überforderten Ordnungskräfte wussten mit dem daraus resultierenden Treiben (zwischen hauptsächlich jungen Ultras auf unserer und gestandenen „toughen“ Jungs auf Salzburger Seite) zunächst nichts anzufangen und sahen quasi tatenlos zu, ehe sie erst nach einigen Minuten wieder alle zurück auf ihre Plätze in den Bussen bewegen konnten.

Kapitel 3

Etwas gezeichnet wurde man schließlich die letzten Meter zum Stadion im Schritttempo eskortiert. Mittlerweile lag auch der Anpfiff in greifbarer Nähe, entsprechend ungeduldig verhielten sich die Massen beim Einlass. Immer mehr Menschen kamen von hinten nach, begannen zu drängen – und so kam es, wie es kommen musste: Fans wurden im improvisierten Eingangsbereich gegen Baustellenzäune gedrückt, man wurde nervös und wie schon so viele Male zuvor entstanden panische Reaktionen. Man rüttelte an den Gittern, brachte diese teilweise zu Fall, Securities und Exekutive verloren den Überblick über die Situation und schließlich brach der obligate Sturm in den Auswärtssektor los – an einem Tag, an dem wohl kein einziger ohne gültiges Ticket vor Ort war. Die überlastete Polizei reagierte mit dem wohl schlechtesten Deeskalationsinstrument aller Zeiten: Pfefferspray. In Folge brach das komplette Chaos aus, Personen kamen in der Menge zu Fall, kleinere Handgemenge zwischen Mitgereisten und Ordnungskräften entstanden. Auch wenn sich die Sturm-Fans in dieser Situation nicht gerade durch Besonnenheit auszeichneten, sollte vor allem die Polizei ihr Verhalten in solchen Situationen eingehend reflektieren – im konkreten Fall wäre sie auf jeden Fall besser beraten gewesen, hätte sie sich zurückgezogen. Wie dem auch sei, anstelle einer nachvollziehbaren Strategie zog man es an dieser Stelle vor, eine Kette zu bilden und den Eingang vollständig zu versperren. Schließlich wurden Personen nur mehr einzeln in den Sektor gelassen, was in einen unvermeidlichen zweiten Sturm mündete, infolgedessen vernünftigerweise von weiteren Kontrollen abgesehen wurde.

Knapp vor Spielbeginn hatten wohl schließlich die meisten Fans ins Stadion gefunden, wobei der Gästesektor den Erwartungen beziehungsweise Befürchtungen entsprach: Eine maßlos überfüllte, von allen Seiten begrenzte Ebene ohne Fluchtwege, in der maximal die ersten beiden Reihen die realistische Chance hatten, das Geschehen am Spielfeld zu überblicken. Darauf bezog sich auch ein Spruchband, das in der ersten Hälfte von unserer Seite präsentiert wurde:

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Um den langgezogenen Sektor auch nur ansatzweise koordinieren zu können, setzte man auf jede Menge Vorsänger, die in Abständen von wenigen Metern am Zaun hingen. Und siehe da: Es funktionierte nicht einmal schlecht! So steigerte sich die Performance des Blocks von Minute zu Minute. Zwar war die Akustik miserabel, im Gegensatz hierzu wussten aber vor allem Chants die mit Bewegung verbunden waren, zu gefallen. Das legendäre „Alle-nach-vorne“ (zerst mit die Händ, daunn mit die Fiaß!) mündete in einen brachialen Pogo, das ansonsten teils ausgelutschte „Wenn wir hier stehen“ ging richtig ab. Begleitet von jeder Menge Pyro präsentierte sich der Haufen in der ersten Hälfte angesichts der Rahmenbedingungen mehr als passabel.

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Das war natürlich auch dem Spiel der Mannschaft zuzuschreiben: Sturm zeigte von Beginn an auf, wer der Bundesligist ist, und präsentierte sich im Grunde genommen durchgehend drückend überlegen. Nach rund 20 Minuten konnte man die Dominanz erstmals in Zählbares ummünzen: 1:0-Führung nach Kopfballtreffer von Marco Djuricin. Eine Viertelstunde danach erfolgte die Draufgabe: Wiederum war es unsere Nummer 9, die den Ball im Netz des Salzburger Goalies versenkte und zeitgleich den Pausenstand markierte. Die Austria war weitestgehend harmlos, kam zu keinen nennenswerten Chancen – der Klassenunterschied war klar ersichtlich.

Nicht ganz so eindeutig verhielt sich die Lage abseits des Rasens: Die Salzburger Kurve rund um TGS und UU legte einen ordentlichen Auftritt hin. Zu Beginn gab es eine Fahnenchoreo und ein Banner mit der Aufschrift „Heimat“ zu sehen, auch supporttechnisch zeigte man sich bemüht, was auch der schnelle Rückstand nicht wesentlich ändern konnte. Dennoch wirkte der Auftritt angesichts der immensen Bedeutung des Spieles für die Heimkurve etwas enttäuschend, wobei es alles in allem wohl doch ein angemessenes Stimmungsduell war, das sich an diesem kühlen Dienstagabend auf den Rängen abspielte. Dass die Tribünenverhältnisse dem Salzburger Anhang akustischen Vorteil verliehen, versteht sich an dieser Stelle wohl von selbst.

Kapitel 4

In der Pause vollendete der Grazer Block schließlich, womit er schon im Laufe der ersten Halbzeit begonnen hatte: Mit vereinten Kräften wurde der Baustellenzaun, der den Sektor vom Spielfeld abgrenzte, demontiert. Das sorgte natürlich für eindrucksvolle Fernsehbilder: Von vermummten Chaoten war medial die Rede, von sogenannten Fans, von Bildern, die der Fußball nicht braucht. Auch hier soll dem Leser in Kürze vor Augen gehalten werden, wie fahrlässig sich die Sektorsituation zuvor präsentiert hatte: Rund 900 Menschen auf engstem Raum, ohne vernünftige Fluchtmöglichkeit im Notfall – solche Umstände stellten geradezu eine Einladung zur Massenpanik dar. Demgemäß stellte der Abriss der Zäune wohl keineswegs Vandalismus, sondern die einzig vernünftige Vorgehensweise dar.

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Die zweite Halbzeit wurde von Salzburger Seite mit einer eindrucksvollen violett-weißen Rauchsäule über ihrem Sektor eröffnet, zudem wurde in weiterer Folge ein Spruchband präsentiert, mit dem wohl die letzten Gerüchte bezüglich fantechnischer Kooperation mit dem GAK ausgeräumt wurden: „Der einzige GAKler hier trägt violett: Klaus Schmidt“, womit auf die langjährige Tätigkeit des Salzburger Trainers im roten Graz angespielt wurde. Stimmungstechnisch verlief auch diese Halbzeit beidseitig auf ansprechendem Niveau, einzig das bizarre Bedürfnis der Salzburger Fans, dem SK Sturm akustisch wiederholt Homosexualität nachzusagen, sorgte für Verwunderung. Nachdem die „Jungs aus der Mozartstadt“ im gleichnamigen, altbekannten Chant an diesem Abend bereits mehrmals ihren ausgeprägten Sexualtrieb besungen hatten, konnte man beinahe auf dumme Gedanken kommen. Harte Jungs in allen Lebenslagen, offenbar. Aber Spaß beiseite: Auch wenn die Beschimpfung des Gegners wohl unabänderlichen Bestandteil organisierten Supports darstellt, gäbe es wohl originellere Wege, das zu tun. Von unserer Seite setzte man ein Zeichen gegen den staatlichen Repressionsapparat, der heute erstmals seit langem wieder Freunde mit Meldeauflagen bedacht hatte. So wurde im Laufe der zweiten Halbzeit immer wieder diverses Material zu besagter Problematik präsentiert.

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Am Rasen setzte sich die Überlegenheit unserer Mannschaft fort. Nach (ungewollter?) Vorlage von Djuricin, der an diesem Abend an allen Treffern beteiligt war, erzielte Thorsten Schick nach 64 Minuten den wohl endgültig spielentscheidenden dritten Treffer. Tore Nummer 4 und 5 durch Beichler und abermals Djuricin waren somit nur mehr Draufgabe – ein Sieg, der auch in dieser Höhe durchaus in Ordnung geht, nachdem die Austria aus Salzburg dem Grazer Druck über weite Strecken des Spiels kaum etwas entgegensetzen konnte.

Abschließend verabschiedete man sich von der Mannschaft, die sich ihren Weg zum Sektor durch die Baustellenzaunfragmente bahnte, während die Salzburger auf der Haupttribüne den Aufstieg aus der Regionalliga beschworen. Schließlich verließ man kollektiv das Stadion – ahnend, dass der Abend noch lange nicht vorüber war.

Die Vorfälle nach dem Match können im Prinzip kurz und bündig auf den Punkt gebracht werden: Die Ausschreitungen waren heftig und in dieser Dimension für österreichische Verhältnisse wohl nicht alltäglich – vor allem, da man im Vorfeld doch davon ausgegangen war, dass Veranstalter und Exekutive mehr Maßnahmen treffen würden, um diese vorhersehbare und von allen Seiten prophezeite Eskalation zu verhindern. Auf eine moralische Bewertung der Ereignisse soll an dieser Stelle bewusst verzichtet werden, in solchen üben sich landauf landab ohnehin genügend Experten, die den Abend vor dem Fernsehgerät verfolgt haben.

Epilog

Erst am späteren Abend hatte sich die Situation langsam beruhigt, und die Busse rollten nach und nach wieder zurück in Richtung Graz. Noch immer perplex von diesem gewaltigen Tag, dauerte es, bis die Reisenden realisierten, dass sie gerade Dinge erlebt hatten, die sich in dieser Form wohl nicht so schnell wiederholen würden. Beinahe breitete sich ein Gefühl der inneren Leere aus, schließlich war dieses eine Match, auf das man so lange hingefiebert hatte, vorbei, nun stand wieder der graue Alltag des Ligafußballs vor der Tür. Altach heißt der nächste Gegner, der sich am kommenden Samstag in Liebenau einfinden wird, es folgen Grödig zu Hause und Wiener Neustadt auswärts. Spiele, die wohl nicht ansatzweise mit dem mithalten können, was einem an diesem Abend in Vöcklabruck geboten worden war. Und trotzdem werden wir da sein, wir sogenannten Fans, die den Fußball angeblich nur als Gelegenheit für Randale missbrauchen. Genauso wie der Anhang der Salzburger Austria dem Verein auch weiterhin gegen unattraktive Dorfvereine die Stange halten wird. Egal was passiert. Und selbst wenn die Lust irgendwann nachlassen sollte, motivieren Erinnerungen an Tage wie diesen, die immer wieder vor Augen halten werden, wie prickelnd Fußball mit all seinen Facetten sein kann.

 

– Gaberl –

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