In letzter Minute…

SK Sturm Graz – SV Grödig 2:1
18. April 2015, 18:30 Uhr
Stadion Liebenau, 12.466 Zuseher (ca. 20 Gästefans)
Bundesliga 2014/15, 29. Runde

Die ganze Stadt, die ganze Stadt. Part 1

Auf einmal lief das Werkl wieder bei Sturm. Nach über drei Saisonen ohne – sind wir uns ehrlich – nennenswerte sportliche Erfolge, schien im Frühjahr der Knoten endgültig aufgegangen zu sein. Eine mehr als eindrucksvolle Serie von sechs Siegen in sieben Spielen, unterbrochen nur von der verschmerzbaren Niederlage in Salzburg, lag hinter uns, die Mannschaft war endlich wieder in der Lage, konstant solide Leistungen zu zeigen und dabei auch gegen vermeintlich schwächere Gegner drei Punkte einzufahren – und machte auf diese Weise den anfänglich nur sehr vorsichtig geträumten Traum von der Champions League immer realistischer. Natürlich war in den letzten Wochen auch das eine oder andere Mal ein Quäntchen Glück im Spiel – man denke an den hart erkämpften Sieg in Ried –, aber dennoch ging man erstmals seit gefühlten Ewigkeiten mit der Gewissheit, am Ende nicht enttäuscht zu werden, ins Stadion und verließ es danach umso glücklicher.

Diese Umstände ließen dann auch schnell eine gewisse Euphorie aufkommen; und begeisterungsfähig sind Grazer Fußballfans bekanntermaßen. Eine Euphorie, die man vor diesem zweiten Heimspiel in Folge gegen den einstmaligen Schrott- und jetzigen Halboffiziell-Redbull-Farmverein aus der Salzburger Vorstadt-Pampa auch wirklich zu spüren glaubte. Konsequenterweise wurde von Seiten der Kurve zum Flag Day aufgerufen, Bastelanleitungen für Fahnen inklusive – ob sich im Endeffekt wirklich wer die Mühe angetan hat, weiß man nicht, zumindest aber der Verkauf im Fanshop und am Stadionplatz dürfte ganz gut gelaufen sein. Zudem konnte der Kampf ums internationale Geschäft – verbunden mit der wirklich gelungenen Ticketaktion in Kooperation mit einer ansonsten hauptsächlich aufgrund ihrer Bier-Hausmarke geschätzten Supermarktkette – wohl auch den einen oder anderen in letzter Zeit eher passiv gebliebenen Sturm-Sympathisanten motivieren, Flagge zu zeigen und seine Leidenschaft auch gegen einen unattraktiven Gegner ins Stadion zu tragen.

Im Vorfeld des Matches

Da machte es auch relativ wenig aus, dass drei herrlichen, nahezu sommerlichen Apriltagen rechtzeitig zum Wochenende ein Temperatursturz gefolgt war. So peitschte schon ein relativ frischer Wind über den sowieso nicht unbedingt windgeschützten Stadionvorplatz, als sich am frühen Nachmittag die ersten Jungs und Mädls einfanden, um das kommende Fahnenmeer vorzubereiten. Versperrte Sektortore erschwerten dieses Vorhaben zunächst, aber nachdem man dem inneren Pöbler kurz Freigang gewährt und (augenzwinkernd) ein wenig an den Türen gerüttelt hatte, fand sich bald ein Schlüssel. Mit vereinten Kräften wurden allerhand Textilien im Sektor verteilt, bevor man sich wieder auf den Vorplatz begab, um sich weiter auf das Match einzustimmen. Während die Vierer-Bims eine Ladung Schwoaze nach der anderen ankarrten, genehmigte man sich noch das eine oder andere Getränk, die eine oder andere Schnitzelsemmel oder was das etwas beschränkte Gastroangebot in Liebenau halt sonst noch so hergab. Nach Einlass ging es schließlich langsam in Richtung Sektor, wo sich der Euphorie doch auch ein bisschen Nervosität beimengte: Zu sprunghaft hatte sich der SK Sturm in den letzten Jahren am Rasen präsentiert, als dass man so richtig an eine endgültige Trendumkehr glauben hätte können. Auf jeden Fall durfte man gespannt sein, was der Abend noch bringen würde.

Im Stadion bereiteten zunächst die vollen Ränge Freude: Wie schon beim Match gegen Altach waren die Längsseiten gut frequentiert und auch die ungeliebten Löcher in der Kurve dürften fürs Erste der Vergangenheit angehören. 12.466 Zuseher hatten letzten Endes den Weg nach Liebenau gefunden, rund hundert mehr als die Woche zuvor – und das gegen einen sportlich unspannenderen Gegner. So hatten die Jungs aus dem Salzburger Speckgürtel nach der beinahe schon zur österreichischen Tradition gewordenen Post-Aufstiegs-Topsaison erwartungsgemäß nachgelassen und fanden sich nun mit eher unsteten Resultaten im unteren Tabellendrittel wieder, wobei sich auch die Abstiegsgefahr in Grenzen hielt. Immerhin hatte man in den vergangenen beiden Runden gegen zwei sportlich vergleichbar starke Gegner punkten können (Remis gegen die Austria, Sieg bei der Admira). Neben einigen Bierdosen einer bereits erwähnten Qualitätsmarke, die an diesem Samstag kurioserweise den Weg in den Sektor gefunden hatten, strahlte auch der Auswärtsblock in Blau-Weiß: Rund zwanzig Repräsentanten des Blue-White-Bau… äh Power-Fanclubs hatten sich auf der gegenüberliegenden Seite eingefunden, um Graz die „Macht vom Untersberg“ spüren zu lassen. Abgesehen von sehr ausdauerndem Fahneneinsatz bekam man davon aber nichts mit.
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Flag Day

Stichwort Fahneneinsatz: Zu Spielbeginn begann die Nord schließlich, den angekündigten Flag Day zu zelebrieren. Und das sah – auf bewegten Bildern eher als auf den Fotos – gar nicht einmal so schlecht aus. Während es im Sektor 12 hauptsächlich die aktiven Gruppen waren, die ihr Material entlüfteten, war nahezu der gesamte Zehner mit kleinen Balkenfahnen versorgt worden, die schon im Rahmen der Choreografie in der Woche zuvor zum Einsatz gekommen waren. Zusammen mit einigen Schwenkern und sonstigem Material ergab sich ein akzeptables Fahnenmeer, das aber – soviel Selbstkritik muss sein – etwas hinter dem Bild vergangener Flag Days zurückblieb. Den Ruhepol bildete hingegen der zentrale Sektor unserer Kurve, aus dem eine größere Anzahl an Doppelhaltern mit dem BG-Face Richtung Spielfeld grinste. Auch wenn die Außensektoren etwas nackt wirkten, alles in allem doch ein hübsches und stimmungsvolles Bild, das geboten wurde.

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Auf dem Rasen begann Sturm druckvoll. Nachdem bereits in der Anfangsphase ein Treffer von Kienast auf Grund eines angeblichen Stürmerfouls nicht gegeben worden und in einer strittigen Situation ein möglicher Elferpfiff nach Foul an Gruber ausgeblieben war, konnte Sturm nach zwanzig Minuten in Führung gehen: Saisontor Nummer 7 für Piesinger! Wer nun allerdings ein Feuerwerk wie die Woche zuvor gegen Altach erwartet hatte, sollte enttäuscht werden: Bereits rund zehn Minuten später erfolgte der Ausgleich für die Gäste nach einem Freistoß. Danach war zunächst der Wurm im Spiel der Schwoazen, bis zur Pause ging nicht mehr viel. Auch hinter dem Tor blieb die ganz große Eskalation aus: Trotz gut gefüllter Tribüne und besten Voraussetzungen wollte zunächst nicht die Stimmung aufkommen, die dem Rahmen angemessen gewesen wäre und die die Mannschaft verdient gehabt hätte. Einen Ausreißer nach oben stellte das geniale „Don’t worry, be happy“ dar, das einmal mehr die Kurve zum Beben brachte.

Höchste Alarmstufe 1

Die zweite Halbzeit begann wiederum mit Fahneneinsatz in der Kurve, brachte aber am Rasen zunächst eine Drangperiode der Gäste, unterbrochen von einigen umso besseren Chancen von Sturm, mit sich, die mit einem Ausschluss in der 62. Minute allerdings abrupt endete. In numerischer Überlegenheit spielte Sturm nach vorne, fand allerdings lange kein Rezept gegen den kompakten Grödiger Abwehrriegel. Während die Minuten verstrichen, gab die Kurve noch einmal Gas, bange Blicke wurden auf die Stadionuhr geworfen, während sich der gelbe Zeiger unaufhaltsam fortbewegte. Spätestens nachdem die reguläre Spielzeit abgelaufen war, begann man sich langsam mit der Punkteteilung abzufinden. Doch dann das bisschen Glück – man könnte es in diesem Fall durchaus als Glück des Tüchtigen bezeichnen –, das so viele Male zuvor gefehlt hatte, das man über Jahre hinweg in Graz vermisst hatte: 92. Minute, Kienast steht genau richtig, nützt seine Größe und trifft per Kopf zum verdienten Siegestreffer. Ein Last-Minute-Tor wie aus dem Bilderbuch, das sechste Tor im zehnten Spiel von Kienast im schwarz-weißen Dress. Es folgte ein Torjubel, der wohl mit Recht als episch bezeichnet werden kann und gefühlt bis zum Abpfiff wenige Minuten darauf andauerte. Die Leute flogen geradezu durch den Sektor, gröbere Verletzungen blieben glücklicherweise aber aus. Zum Abschied gab es Standing Ovations im ganzen Stadion, eine Jubelrunde der Mannschaft und das wohl lauteste „Steiermark“ seit langem – vielleicht auch darin begründet, dass mit Gert Steinbäcker der Komponist und Interpret dieser insgeheimen Landeshymne in Liebenau zugegen war. Der Abend im Stadion endete im Übrigen wie auch die Heimspiele zuvor mit einem Gruppenfoto der Mannschaft vor der Kurve – eine Geste, die aktuell durchaus Schule zu machen scheint: So ließ es sich auch die Elf von Werder Bremen nach dem Derbysieg am Tag darauf nicht nehmen, zur Feier des Tages vor dem Heimblock für ein Foto zu posieren.
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Die ganze Stadt, die ganze Stadt. Part 2

Nachdem man die Fahnen im Sektor wieder eingesammelt und die Kurve verlassen hatte, begann man langsam zu realisieren, dass man dem ersehnten Ziel einen Schritt näher gekommen war. In der Tabelle lag Sturm nun einen Punkt vor Altach auf Platz 3, der Abstand zu Rapid und der Champions-League-Quali war auf zwei Punkte zusammengeschrumpft. Ein Frühjahr wie im Traum, der nahezu vergessen geglaubte Erinnerungen wieder aufleben ließ: Mehr als einmal wurde in der folgenden Nacht, in der man den Sieg natürlich gebührend zelebrieren musste, der Vergleich mit der legendären 2007/08-er Saison bedient. Die Situation ist ja durchaus vergleichbar: Auf eine lange Durststrecke folgte damals wie heute eine ebenso plötzliche, wie euphorisierende Phase sportlichen Aufschwungs, die den Sturm-Geist wie selten zuvor wieder aufleben ließ.

Die kommenden beiden Runden werden zeigen, wie sich die Lage entwickeln wird. Gegen fußballerisch marode Neustädter sollten drei Punkte möglich sein, der Tag der Wahrheit steht wohl viel eher in der Woche darauf an, wenn Rapid zum direkten Duell um Platz 2 in Liebenau gastiert. Bereits jetzt, nahezu zwei Wochen davor, ist die Partie bereits ausverkauft. Der Gedanke an mögliche Zaunkraxler, die sich trotz teurerem Längsseitenticket einen Platz in einer berstend vollen Nord sichern wollen, sorgt schon jetzt für Gänsehaut und Vorfreude auf einen Ausnahmezustand, der in Liebenau in den letzten Jahren wohl seinesgleichen suchen wird. Dennoch darf auch die Partie in Neustadt keineswegs vergessen werden! Gerade in einem vermeintlichen „safen“ Match können negative Überraschungen nicht ausgeschlossen werden, umso wichtiger ist es, dass die Mannschaft einen großen und motivierten Auswärtsmob im Rücken hat, der ihr Rückhalt gibt und sie nach vorne treibt. In diesem Sinne: Alle nach Neustadt! DIE GANZE STADT, DIE GANZE STADT!

-Gaberl –

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